Bericht aus Tarrafal

pitch_5Es gab  Zeiten da habe ich regelmässig seitenlange Monatsberichte geschrieben. Lange vorbei. Es gab Zeiten da habe ich alle paar Monate ausführlich berichtet. Lange vorbei. Wohin diese Zeiten sind weiss ich nicht, aber ich vermute es geht ihnen gut und sie vergnügen sich irgendwo ganz köstlich. So wie wir das halt alle irgendwie versuchen. Gelingt es? Manchmal? In den vergangenen Monatejahrewochen hat sich im Bildungszentrum so einiges getan. Ganz viele  Hausaufgaben wurden gemacht. Bei 220 Kindern und Jugendlichen die das Zentrum regelmässig frequentieren wirklich eine ganze Menge. Rechnen wir 10 Monate Schule pro Jahr. 20 Hausaufgaben pro Schulfach pro Monat. 3 Schulfächer. Macht 13.200 Hausaufgaben pro Monat. 132.000 Hausaufgaben pro Jahr. Das Zentrum gibt es seit 2005 … also können wir stolz darauf verweisen: bei uns im Bildungszentrum wurden schon 1.056.000 Hausaufgaben gemacht. Eine schier unglaubliche Menge an irrsinnig relevantem Wissen was dabei vermittelt wurde. Man könnte zu dem Kurzschluss kommen, dass wir wahnsinnig … geworden sind vor lauter Hausaufgaben. Weit gefehlt. Man könnte auch meinen, dass wir wahnsinnig viel erreicht haben mit diesen Hausaufgaben … weniger weit gefehlt aber doch gefehlt. Bildung für eine bessere Zukunft, Bildung für ein sozial verantwortliches Leben sind halt keine Ziele die sich so einfach durch Hausaufgabenhilfe verwirklichen lassen. Wäre ja auch zu schön wenn es so einfach wäre. Soziale Ungerechtigkeiten? Kriege? Hunger? Umweltzerstörung? … Alles kein Problem. Mit über 1.000.000 Hausaufgaben lässt sich das lösen. Wieviel Hausaufgaben haben die Obamas, Putins, Assads und wie die Spinner alle heissen wohl gemacht? Dem Zustand der Welt nach zu schliessen höchstens 3 bis 4 … da fehlt ja doch noch einiges auf die notwendige Million. Na gut. Gott sei Dank wissen wir ja alle, dass das alles reine Spekulation ist. Weil Hausaufgaben eben nur Teil von etwas Grösserem sind. Natürlich ein wichtiger Teil, weil schon in der Bibel steht geschrieben: du sollst nicht die Hausaufgaben deines Nächsten … oder so ähnlich halt. In der letztwöchigen Teamsitzung (Marisa, Gilson, Samir, Cutchinha, Jassica, Suzethe, Nene, Zito, Flöknennichmichjetzt) haben wir die Sache mit den Hausaufgaben, dem Fussballtraining und dem Sinn für soziale Gerechtigkeit diskutiert. Erreichen wir mit Fussball unsere Ziele? Zielen unsere Fussbälle auf Reiche? Machen Hausaufgaben kreativ? Reichen 4 künstlerische Workshops pro Jahr? … Also so allgemein wurde diskutiert wie wir die Angebote des Bildungszentrums weiter verbessern können. Schliesslich haben wir jetzt von der FIFA neue Infrastruktur geschenkt bekommen (40×20 Kunstrasenplatz mit Solarflutlichtanlage, Computerraum/Bibliothek, Mehrzweckraum) konnten im Mai eine weitere Arbeitskraft anstellen (Gilson) und sind ausserdem alle wieder ein Stück weiser geworden. Beste Voraussetzungen für weitere Verbesserungen. Ergebnis der Diskussion die noch nicht abgeschlossen ist weil sie sich nie wird abschliessen lassen weil Verbesserungsdiskussionen eine ungeheuerliche Abneigung gegen Abschliessen haben … also das Ergebnis der Diskussion: der Zentrumsalltag der Kinder soll sich verändern. Schon noch Hausaufgaben machen (das muss ja sein), auch Nachhilfe wo nötig, aber auch jeden Tag Sport- Spiel- und Kunstangebote. Eine fix eingerichtete Siebdruckwerkstatt in der die Kinder T-Shirts bedrucken können (fast hätte ich gesagt „nach Lust und Laune“, aber das ist ein so grauslicher Ausdruck, dass ich mich schäme ihn gedacht zu haben). Verstärken wollen wir auch die Kommunikation mit den Kindern. Täglich, wöchentlich, monatlich einfach wann immer es sich ergibt, sich mit einer Gruppe von Kindern zusammensetzen und über Gott und die Welt diskutieren. Oder auch mit Gott die Welt diskutieren. Schliesslich hat er sie ja erschaffen, er kann sich also nicht ewig aus den Diskussionen raushalten. Das wäre ja so als würde ich ein Spiel erfinden, mit wunderschönen Spielfiguren, aber niemandem die Spielregeln erklären. Kindisch. Das dann mit „Freiheit“ zu erklären geht auch nicht wirklich. Oder doch? Ist das Gegenteil von Spielregeln Freiheit? Gibt es Freiheit ohne Regeln? Spiele ohne Freiheit? Freiheit ohne Spiel? … Das alles wollen wir also mit den Kindern diskutieren. Natürlich auch aktuelle Themen. Alles was die Kinder und Jugendlichen wollen und/oder wir für diskussionswürdig halten. Wir wollen auch versuchen das eigentliche Fussballtraining in die frühen und späten Abendstunden zu verlegen. Das ist ja jetzt dank Solarflutlichtanlage möglich. Tagsüber soll der Platz natürlich auch bespielt werden, aber eben weniger mit tatsächlichem Fussballtraining sondern mit verschiedenen Spielen. Fussballspiele mit verschiedenen bildungsrelevanten Inhalten. Klingt gut, gell?! Muss ich gleich nochmals schreiben: Fussballspiele mit verschiedenen bildungsrelevanten Inhalten. Toll! Das machen wir jetzt. Anfang Dezember wird eine Organisation (Coaches across Continents) Ausbilder nach Tarrafal schicken die uns dann verschiedene Spielformen beibringen werden. Spiele zu Themen wie AIDS, Drogen, Gewalt … Und die werden wir dann in den täglichen Betrieb integrieren. So machen wir das. Und weil wir gerade von Besuchen aus dem Ausland sprechen: nächste Woche kommt eine befreundete Psychologin aus Wien (Sind nicht alle Psychologinnen befreundet? Ist es nicht deren primäre Aufgabe befreundet zu sein?) zu uns nach Tarrafal. Eine Woche lang werden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums mit ihr über Gewalt, Streit, Trauma und derartige Dinge workshopen. Eine dringende Notwendigkeit weil wir ja in unserer täglichen Arbeit ständig damit konfrontiert sind. Das beschriebene Bild des Zentrumsalltags klingt wunderschön. Oder? Spielende, lernende, künstlerisch aktive, diskutierende, Bücher lesende, im Internet recherchierende Kinder in dem schönen Ambiente des Bildungszentrums … Was werden das für glückliche Menschen werden. Wahre Weltverbesserer, friedliche, umweltbewusste Erdbewohner … die ganze Welt wird eine Bessere werden … den Obamas, Putins und Assads dieser Welt wird es die Sprache verschlagen … womit wir wieder bei den Hausaufgaben wären … Das nächste Thema. Eines das uns ungeniert versucht ins Handwerk zu pfuschen: die Krise. Woher kommt sie? Über welche Hintertür hat sie sich eingeschlichen oder wer hat sie reingelassen? Wurde sie erfunden oder hat sie sich von selbst entwickelt? So ähnlich wie die Menschheit? Wo ist mein Rettungsschirm? Kann man sich so einen Schirm selber basteln (Zahnstocher)? Wieso verschwinden auf der einen Seite Millionen und auf einer anderen Schirmseite tauchen sie plötzlich wieder auf? Ist die Krise gottgegeben? Der Schirm allahgemacht? Ist der Norden reich und der Süden arm? Und dann die zwei wesentlichsten Fragen die ich mir bezüglich der Krise stelle: wer verarscht uns da? Warum lassen wir uns verarschen? Um sachdienliche Hinweise wird gebeten. Und meine Hoffnung: aus Krise und Chaos entsteht gern mal was Neues. Aber bitte irgendwas ohne Schirm. Was ich also eigentlich ganz ernsthaft sagen will und bisher beschrieben habe: wir bemühen uns da Verbesserungen für unsere Zielgruppe zu verwirklichen werden dabei aber ganz fürchterlich von Krisen behindert, die dauernd als Entschuldigung angeführt werden da etwaige Mittel in die Schirmproduktion fliessen … Fair ist das nicht. Regt mich aber ständig dazu an zu versuchen umfassendere Lösungsansätze zu denken. Gelingt nur bedingt und ich würde gerne Mitdenkerinnen und Mitdenker kennen lernen. Weil irgendwie können wir doch alle denken. Manchmal. Ich habe zu dem Zwecke der Anregung des Denkens weg von Schirmherrschaften hin zu sonnigeren Zukunftsperspektiven ein neues Projekt begonnen zu überlegen. Armut auf der Spur. Nenne ich es bisher. Einige kennen es schon. Andere kennen es nicht. Aber es ist schon eine Internetseite im Entstehen, Beschreibungen sind geschrieben, Gedankenaustäusche schwirren herum … wer sich beteiligen will bitte mitteilen. Kann gerne seitenlange Beschreibungen ohne eine einzige Abschweifung zukommen lassen. (Und ausserdem würde ich gerne wissen was die Mehrzahl von Gedankenaustausch ist?) Leider ist das Projekt in den letzten Monaten liegen geblieben. Habe ein EU-Ansuchen verfasst (Musikschule und Tonstudio im Bildungszentrum)  und schlussendlich sogar rechtzeitig eingereicht um dann vollkommen erschöpft so was ähnliches wie Urlaub zu machen. Jetzt würde ich Armut auf der Spur gerne weiterentwickeln. Was fehlt dazu? Schirm, Zeit und Muße. Bezüglich Schirm warte ich auf Bastelanleitung, Zeit gibt es ja in Wirklichkeit garnicht (oder war das der Raum? … die Raumzeit?) und Muße hat bei mir leider immer öfter mit dem Schirm zu tun. Wenn die Geldsorgen allzu gross sind tut sich die Muße bei mir schwer auf offene Ohren zu stossen. Manchmal schleicht sie sich trotzdem an aber wehe ich erwisch sie dabei. Mit Gebrüll und unter Androhung von ewiglicher Verdammung verjage ich sie sogleich wieder weil ich überzeugt bin sie will mir nur meine Schirmbastelung verhindern. Aber egal ob Schirm, Muße oder Bildung … wir sollten was tun. Gegen Armut. Gegen Verarmung. Gegen Schere. Wenn wir ganz ehrlich sind müssen wir uns doch zugestehen, dass es so nicht weitergehen kann. Oder kann es das? Ich bin auf alle Fälle irrsinnig froh, dass es ein paar Dinge gibt die sicher sind. Eventuell gibt es sogar ganz viele derartige Dinge. Da ich die aber nicht alle kenne erwähne ich jetzt ausschliesslich zwei … Dinge die sicher sind: –    es bleiben viele Fragen offen –    trotz einiger widriger Umstände (Schirme, kein Regen …) arbeiten wir unbeirrt weiter und versuchen auch einige Antworten auf die erwähnten  unbeantworteten Fragen zu bekommen. Zwei Umstände die mich veranlassen einen kleinen Aufruf zu lancieren (wieder mal herausragend formuliert!). Da wir uns vergeblich um einen Rettungsschirm beworben haben (wurde abgelehnt weil kein Korruptionsverdacht vorliegt und keine überhöhten Managergehälter ausbezahlt wurden) … verdammt ich verliere den Faden … jetzt versuche ich mal ernsthaft ohne Sarkasmus oder irgendwelche –ismen zu formulieren. Mal sehen ob ich das auch kann: Das Jahr 2013 hat finanziell vielversprechend begonnen. Gründe: die fixe Unterstützung von 30.000 USD seitens der FIFA, weitere Zusagen vom FIFA legacy trust, Georg Kraus Stiftung, Kapverdianisches Jugendministerium und Gemeinde Tarrafal und die schon fast als Selbstverständlichkeit erwartete Unterstützung von Delta Cultura in Österreich und Deutschland. Leider haben sich sodann aber ein paar Dinge anders ent- und verwickelt. FIFA legacy trust hat Teilrückzieher produziert, Kapverdianisches Jugendministerium und Gemeinde Tarrafal sind vollständig ausgefallen, Ersatz wurde keiner gefunden. Warum nicht?  Mangel an Arbeitskraft (bei allen Delta Culturas). Die Krise … Jetzt im September spüren wir das Fehlen an finanziellen Mitteln immer besonders stark. Ständige Anfragen zur Unterstützung für Schuluniform, Schulbücher, Schulmaterial, etc. Leider können wir da nur sehr begrenzt unterstützen. Alle Delta Culturas dieser Welt, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Delta Culturas bitten daher herzlichst um Unterstützung. Unterstützung für sämtliche Aktivitäten, Suche nach Antworten, Zielgruppenunterstützung, die auf diesen Seiten beschrieben sind. Wie könnt ihr helfen? Doppelpunkt: –    Geldspende (Spendenbestätigung bei Spende in Deutschland) –    Sponsoring des Delta Cultura Fussballturniers am 29.9. in Wien. Details dazu hier.  (Steuerabsetzbarkeit von Sponsoringaktivitäten) –    Die frohe Botschaft des Spendenaufrufs an Verwandte, Bekannte, Freunde und Menschen weiterleiten. –    Kennt jemand Firmen die sponsern, unterstützen wollen? Oder alle: leider die Krise? –    Sponsoring –    Geldspende –    Geldspende –    Weiterleiten –    Geldspende Ihr seht: es gibt da zahlreiche Möglichkeiten uns zu unterstützen. Abschliessend möchte ich aber auch noch erwähnen, dass mir auch sehr viel an einer lebhaften Diskussion über die vielen offenen Fragen liegt die in diesem kurzen Bericht auftauchen. Armut auf der Spur soll eine Diskussionsplattform dafür bieten, aber bis es soweit ist können die Überlegungen ja auch per Email, Facebook, Delta Cultura Seite, etc. ausgetauscht werden. Dank für die Aufmerksamkeit. Ich hoffe angeregt zu haben. Liebe Grüsse, Florian Wegenstein

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